Nur Sport oder Rock’ N’ Roll kann einem dieses herrliche Gefühl von Nervenkitzel geben: das, wenn ein beinahe niedergekämpfter Boxer vom Boden aufsteht oder ein Sänger ins Rampenlicht zurückkehrt den jeder schon abgeschrieben hat. Man denke nur an Muhammad Ali als er seinen Schwergewichtstitel 1974 in Kinshasa zurückgewann oder Elvis Presley, der 1968 in NBC’s Comeback-Special bewies, dass er nach wie vor der King of Rock‘ N‘ Roll ist – und das in einem Boxring! Diese Geschichten der „weltlichen Erlösung“ sind jene, aus denen moderne Mythen gemacht sind. Und nach zwei Jahren voller Rückschläge erscheint es, als ob Rachid Taha von genau diesen inspiriert wurde. Als einer der Pioniere, und in der Tat: der König des -> “rock’n’raï”, läuft er nun wieder zu Hochform auf. Mit ZOOM, seinem neunten Soloalbum, schlägt er ein neues Kapitel in der Achterbahnfahrt seiner Karriere auf, die vor fast 30 Jahren mit seiner Band Carte de Séjour begann.
Rachid zeigt sich lyrischer, schneidender „rock‘ n‘ roll-iger“ und verrückter als je zuvor um mit diesen neuen zwölf Songs seine eigene Legende fortzuschreiben!
Das neue Album ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, auf dem man den algerischen Sänger die E-Gitarre und die arabische Oud erstmals verbinden sah, aber dieses Album ist auch ein weiterer ZOOM in die Zukunft. Wie auf jedem seiner bisherigen Alben möchte er die Geschichte fortschreiben, in der er sich als eine Mischung aus einem Drittel Sindbad, einem Drittel John Wayne und einem Drittel Alan Vega sieht. Weil – so sieht er es – man erobert den amerikanischen Westen, in dem man im Osten beginnt. Country Music und Rock‘ N‘ Roll mögen die Frucht einer Ehe aus amerikanischen und europäischen Einflüssen sein – der Heiratsvermittler hier aber ist Araber. Die Gitarre hat erwiesenermaßen persische und nahöstliche Einflüsse, Cowboystiefel stammen von den sogenannten Babouche-Slippern ab und genauso hat Rachid seinen eigenen Stil aus allerlei Einflüssen kreiert. Rockabilly und Chaabi sind seine ersten Bezugspunkte. Zoom entspringt einer Art zu denken, ist eine ästhetische Herangehensweise.
Und das Symbol der Annäherung dieser zwei kulturellen Horizonte ist die Gegenwart von Elvis Presley und Oum Kalsoum auf ein und demselben Album. Rachid singt eine wohlige Coverversion des Presley‘schen „Now Or Never“ in Englisch und Arabisch (einem romantischen Standard adaptiert vom berühmten „O Sole Mio“). Er samplet Oum Kalsoum’s Stimme auf “Zoom Sur Oum”, einem sehr Gainsbourgh-artigem Tribut an die “vierte Pyramide von Ägypten” mit Text von Jean Fauque, dem langjährigen Songschreiber des so sehr von Rachid vermissten Freundes Alain Bashung.
Dieses funkensprühende Comeback ist auch sehr den Producer-Fähigkeiten von Justin Adams zu verdanken, einem englischen Musiker der ebenfalls sehr die Vorteile zweier Kulturen zu schätzen weiß. Nachdem er Gitarre bei Robert Plant, dem früheren Led Zeppelin Frontmann spielte, ist er heute Mitglied von zwei Bands: Triaboliques und Juju. Letztere eher ein berauschender Mix aus Rock und westafrikanischem Trance denn eine Band im klassischen Sinne. Justin war bereits als Teenager ein Fan von The Clash und bewunderte so folgerichtig auch Rachid’s Arbeit, nachdem er dessen Aufnahme von „Rock The Casbah“ für sich entdeckte.
Dass zwei Musiker, die beide ein so ausgeprägt starkes Faible für nordafrikanische und nordamerikanische Roots-Musik haben irgendwann zusammen finden, war nur eine Frage der Zeit. Und so kam es, dass beide sich im Frühjahr 2012 in Peter Gabriels Studio verabredeten und für die Aufnahme von ZOOM trafen.
Im Song „Djemila“ ist ein leichte Hauch Electronica zu vernehmen, aber im wesentlichen ist ZOOM ein Zusammenspiel aus klaren Beats, unverfälschtem Saitenklang dank Justin Adams brilliantem Gitarrenspiel und den widervollen arabischen Lute-Klängen von Hakim Hamadouche, einem der langjährigsten Begleiter Rachids. Der kraftvolle britische Punk von „Fakir“ wird gefolgt vom klassischen Klang auf „Galbi“, das eine Duane Eddy-Style Gitarre featured die mit einer Mandole interagiert um Rachids Phantasielandschaften entstehen zu lassen, in denen der Sand der Sahara in den der Wüste von New Mexico übergeht und Damhane El Arrachi und Hank Williams einen kräftigen Schluck aus einer gemeinsamen Flasche billigen Fusels nehmen.
Aus diesem idealisierten Land zieht der Sänger die raue Energie für „Les Artistes“. „Ouesh N’Amal“ wiederum ist ein Folksong, kristallklar wie das Wasser nach einem starken Regenfall in einem Wadi in der Kabylei in Nordalgerien (woher auch Rachid stammt). Auf “Ya Oumri “wird er von Cheba Fadela begleitet, einer legendären Rai-Sängerin.
Zoom ist das wohl vielschichtigste, fast filmähnliche Werk eines Mannes, der im Banne von Elvis und Bollywood Filmen, Spaghetti-Western und ägyptischen Melodramen aufwuchs. Begleitet wird er weiter von einem Star-Aufgebot wie es verschiedener nicht sein könnte: Mick Jones (The Clash), Brian Eno und Rodolphe Burger. Auf der Coverversion von „Voilà Voilà” (Bonustrack) wird er begleitet von Agnès B, Rachida Brahkni, Eric Cantona, Femi Kuti und Christian Olivier um sich gemeinsam gegen vorherrschende Ausländerfeindlichkeit stark zu machen.
Wie eine Kamerafahrt in einem Godard-Film ist ZOOM auch eine Bewegung, in der Ästhetik die Grundlage für eine moralische und politische Aussage bildet.
Mehr denn je behauptet Rachid Taha seinen einzigartigen Stil und seine atypische Identität - ein Derwisch, dessen rebellischer Geist immer mit einer Spur orientalischer Sinnlichkeit daher kommt.