Show cover of Listen to the Archive. Der DDF-Podcast zu feministischer Geschichte

Listen to the Archive. Der DDF-Podcast zu feministischer Geschichte

Feminismus hat Geschichte! Und die ist politisch, bewegt und reich an Auseinandersetzungen. Sie erzählt von Solidaritäten und Brüchen, sie hat viele Gesichter, Perspektiven und nicht zuletzt Schultern, auf denen auch heute Feminismus gelebt, gedacht und ausgehandelt wird. Von Frauenstreiks bis Cyberfeminismus, von Pionier*innen in Sport oder Sprache: Der DDF-Podcast blickt auf Akteur*innen und Phänomene aus mehr als 200 Jahren feministischer Bewegungsgeschichte. Was trennt, was verbindet – damals und heute? Wir öffnen feministische Zeitkapseln und Schatzkisten, treffen Historiker*innen, Zeitzeug*innen und weitere Expert*innen – und nehmen euch mit auf eine Entdeckungstour durch die feministischen Archive. Listen to the Archive! Am Mikro: Birgit Kiupel ist Bewegungs- und Radiofrau, Zeichnerin und promovierte Historikerin, DDF-Geschichtsexpertin in Hamburg und ausgemachte Kennerin der Archive. Sie führt durch Gespräche und Geschichten – mit dem richtigen Gespür für besondere Fundstücke aus den feministischen Archiven. Eine Produktion des Digitalen Deutschen Frauenarchivs, kurz DDF. www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de Konzept: Birgit Kiupel, Steff Urgast Schnitt/Mischung: Christian Alpen Sound Design: Azadeh Zandieh #frauenmachengeschichte #ddfarchiv Digital. Divers. Feministisch.

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Sich zu organisieren und gemeinsam Netzwerke zu bilden, ist jeher ein zentrales Mittel feministischer Bewegungen. In dieser Tradition trafen sich im Mai 2025 auch zahlreiche Akteur*innen der Erinnerungsarbeit in Berlin, um die Verbindungen zwischen feministischen Archiven in Europa zu stärken – und ein gemeinsames Netzwerk zu gründen. In dieser Folge laden wir daher zu einer sehr besonderen Reise: Von Reykjavik, Bologna, Brüssel, Prag oder Wien – im vergangenen Mai kamen Vertreter*innen von i.d.a.-Einrichtungen und geladene Expert*innen aus weiten Teilen Europas in Berlin zusammen. Im Rahmen eines Projekts von ERASMUS+ waren sie angereist, um ihr Wissen miteinander zu teilen – über Zeiten, Generationen, Arbeitskontexte und Ländergrenzen hinweg. Unter dem Motto „The Power of Networking“, der Kraft des Netzwerkens, fanden vom 12. bis 16. Mai zahlreiche Workshops statt, unter anderem zu Fragen einer europaweiten Zusammenarbeit, der Digitalisierung, einer möglichen transnationalen Kataloglandschaft und nachhaltiger feministischer Infrastrukturen. Zudem gab es die Möglichkeit, unterschiedliche Berliner Einrichtungen und Sammlungen zu besuchen, wie das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin, aber auch in Berlin ansässige i.d.a.-Einrichtungen wie das FFBIZ, den Spinnboden und die Genderbibliothek an der Humboldt-Universität zu Berlin. Am Mittwochabend, dem 14. Mai 2025, wurde diesem Netzwerk auch ein eigener Name gegeben: ELENOR – Feminist Memory in Action. Gemeinsam wurde ein Manifest verfasst und verabschiedet, das beschreibt, was verbindet – und wohin es gemeinsam weitergehen soll. Geplant und organisiert wurde das Projekt ERASMUS+ von i.d.a.-Einrichtungen (u.a. Nicolli Povijač, Margarethe Kees) sowie die Gründungsveranstaltung von ELENOR von dem Digitalen Deutschen Frauenarchiv (u.a. Karin Aleksander, Marius Zierold). Was vor Jahren als Initiative namens META-EU begann, ist spätestens seit dem Berliner Treffen zum stabilen Netzwerk geworden: mit gemeinsamen Projekten und dem Wunsch, feministische Erinnerung zu bewahren und aktiv zu gestalten.

6/30/25 • 32:33

Eine „unglaubliche Errungenschaft“ sei der Gleichheitsgrundsatz, Artikel 3 im Grundgesetz, sagt Christina Clemm, Fachanwältin für Familien- und Strafrecht. Als Juristin, Autorin und Aktivistin vertritt Clemm tagtäglich Menschen, die von geschlechtsspezifischer, sexualisierter, rassistischer, LGBTQ+-feindlicher und rechtsextrem motivierter Gewalt betroffen sind. Im Recht und in der Praxis sieht sie daher weiter großen Handlungsbedarf. Clemm ist eine der sechs Protagonistinnen im DDF-Film „Alle(s) gleich?“, der die Vielfalt von Perspektiven auf den Gleichheitsgrundsatz feiert und fragt, was Menschen heute mit dem Artikel 3 im Grundgesetz verbinden. Artikel 3 ist heute ein zentrales demokratisches Grundrecht im deutschen Grundgesetz – doch jede Formulierung musste lange errungen werden und dies gegen große Widerstände. 1949 erstreitet die Juristin Dr. Elisabeth Selbert (1896–1986) den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Überwindung des Nationalsozialismus engagierten sich viele Akteur*innen und Frauenverbände für demokratische Rechte – in der jungen Bundesrepublik war Dr. Elisabeth Selbert eine zentrale politische Stimme und sie ist bis heute ein Vorbild. In dieser Folge wollen wir also gerade mehr über sie und ihre Beweggründe als Demokratin zu erfahren. Dazu hat sich Dr. Birgit Kiupel in das Archiv der deutschen Frauenbewegung begeben und mit der Historikerin Dr. Kerstin Wolff über Selbert als Person und unerschrockene Politikerin gesprochen. Eindrücklich berichtet Wolff von der Tragweite des errungenen Satzes, den enormen Widerständen dagegen, feministischen Solidaritäten und historischen Chancen: „Wir können alle Elisabeth Selbert nur sehr dankbar sein, dass sie dieses Möglichkeitsfenster gesehen hat.“

2/21/25 • 44:04

„Wehrt euch, leistet Widerstand“ – so heißt es in dem bekannten Protestlied, welches bereits zu Anti-Atom-Protesten in den 1970er-Jahren gesungen wurde und aktuell gerade auf antifaschistischen Demonstrationen wieder erklingt. Doch ist Widerstand gegen Formen der Unterdrückung keine Selbstverständlichkeit und leistet sich nicht von allein. Es braucht Haltung, nicht selten eine Notwendigkeit und die strukturellen Möglichkeiten – und ganz gewiss stets Mut. Auch Vorbilder können Mut machen: So taucht die Historikerin Dr. Birgit Kiupel in dieser Folge in den faszinierenden wie umfangreichen Nachlass von Hilde Radusch (1903–1994) ein. Sie führt ein bewegtes Leben als Kommunistin, Lesbe, Widerstandskämpferin zu NS-Zeiten und Aktivistin in der Frauenbewegung und ist eine der wenigen politisch engagierten Frauen, die den Brückenschlag zwischen den Frauengenerationen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglicht. Auch die Bewahrung der eigenen Bewegungsgeschichte ist ihr ein Anliegen – so gründet sie das feministische Archiv, das FFBIZ, mit. Weiter führt die Folge zum Geschichtsort Stadthaus in Hamburg – von 1933–1943 eine Zentrale des nationalsozialistischen Terrors, seit 2022 Teil des Geschichtsortes der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS Verbrechen. An diesem heutigen Gedenkort arbeitet Christiane Heß, die im Herbst 2024 ihre Dissertation Zeichnungen aus Konzentrationslagern Ravensbrück und Neuengamme als Buch veröffentlicht. Sie zeigt darin widerständige Spuren auf, die unter nahezu unmöglichen Umständen entstehen. Beeindruckend erzählen diese vom Wunsch nach Aneignung, Kommunikation und danach, entgegen aller Menschenfeindlichkeit und Unterdrückung Zeichen des Widerstands zu hinterlassen.

12/2/24 • 33:56

Grundsätzlich sind in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche illegal. Diese aktuell geltenden Straftatbestände würden allerdings einer verfassungs- und völkerrechtlichen Prüfung nicht standhalten und seien damit dringend zu verändern. Zu diesem Schluss kommt die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin der Bundesregierung, die ihre Empfehlungen im April 2024 veröffentlichte. In vielen Ländern Europas und weltweit fehlt es an sicheren und legalen Zugängen zu Schwangerschaftsabbrüchen. Für die betroffenen Schwangeren kann dies lebensgefährlich sein. „Die Bundesregierung hat jetzt die historische Chance, den über 150 Jahre alten Paragrafen 218 StGB aus der Kaiserzeit abzuschaffen”, schreibt u.a. das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung in einer Pressemitteilung zu den Kommissionsergebnissen und erinnert an die lange Geschichte des § 218 in Deutschland. Wie konfliktreich diese schon früher war, berichtet Dr. Susanne Knoblich in Folge 8 des DDF-Podcasts. Als Historikerin und Archivarin führt sie durch das Landesarchiv Berlin, in dem das Helene Lange Archiv untergebracht ist, welches sie seit 2002 alleinverantwortlich betreut. Dokumentiert sind hier auch die innerfeministischen Debatten, die den § 218 zu unterschiedlichen Zeiten begleitet haben: „Da gab es im Bund Deutscher Frauenvereine zwei Richtungen. Einmal gab es die gemäßigten Bürgerlichen und dann eher die Radikalen. Die gemäßigten Bürgerlichen waren eindeutig Helene Lange und Gertrud Bäumer, die gegen die Abschaffung des § 218 argumentiert haben. Und dann die Fraktion um Marie Stritt und Camilla Jellinek, die für die ersatzlose Streichung des § 218 schon um 1900 plädierten.“ Dr. Susanne Knoblich zeigt viele Forschungsfelder auf, u.a. zu der Frage, wie sich später auch der aufkommende Faschismus auf die Debatten auswirkte. Die Frage internationaler Netzwerke aufgreifend reist der Podcast in dieser Folge mitten nach Europa, in das sechstkleinste Land der Welt: Liechtenstein. Kaum bekannt sind die dortigen restriktiven Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Verkürzt gesagt, kann hier auch öffentliches Sprechen über das Thema bereits strafbar sein. Für Akteur*innen des feministischen Vereins Frauen in guter Verfassung erst recht ein Grund, darauf auch international aufmerksam zu machen. Das eigene Wahlrecht für mehr feministische Selbstbestimmung zu nutzen, ist ihnen ein großes Anliegen. Als europäisches Land ist Liechtenstein zwar nicht EU-Mitglied, dennoch würde auch hier die Situation für Personen, die abtreiben wollen, von sicheren und legalen EU-Standards profitieren, denn viele Abtreibungen finden im europäischen Ausland statt. MitstreiterInnen des Vereins Frauen in guter Verfassung berichten daher von ihren Kämpfen gegen das Tabu Abtreibung – und von der Bedeutung europaweiter Solidarität. Dank ihres beharrlichen und mutigen Einsatzes und der Unterstützung des Europarates feiern sie 2024 nun 40 Jahre Einführung des Frauenstimmrechts. Außerdem wird das Archiv des Vereins in das Landesarchiv des Fürstentums Liechtenstein überführt – zur Einweihung ist dort ab Juli diesen Jahres in Vaduz eine Ausstellung zu sehen. Mit Blick auf die diesjährige Europawahl ist eine länderübergreifende Sicherstellung des Grundrechts auf reproduktive Selbstbestimmung nun dringender denn je. In ganz Europa ist die extreme Rechte in der Offensive gegen emanzipatorische Rechte, damit auch sexuelle und reproduktive Rechte von Frauen. Das Fehlen von EU-Standards in diesem Bereich führt zur Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, zu schwerwiegenden Einschränkungen des Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen und zu heimlichen und oftmals gefährlichen Abtreibungsmöglichkeiten. Hier braucht es also auch starke europäische Solidaritäten – auch mit Ländern, die nicht Mitglied in der EU sind, wie zum Beispiel das Fürstentum Liechtenstein.

6/6/24 • 45:24

„Im Regal war natürlich die Morgner, die Reimann, die Wander, die waren alle immer im Sortiment. […] Die haben wir alle gelesen“, eröffnet Ursula Neubauer diese Podcastfolge, seit Ende der 1970er-Jahre Mitarbeiterin und später auch Mitinhaberin von Lillemoor’s in München – dem bis 2023 aktiven, ältesten Frauenbuchladen in Deutschland. Sie erinnert sich lebhaft daran, wie auch die westdeutsche Frauenbewegung mit Interesse und Begeisterung die Werke von DDR-Autorinnen las und als Quelle über die Lebensrealitäten von Frauen im sogenannten Realsozialismus nutzte. In jüngster Zeit bestimmen vor allem drei Autorinnen die Wahrnehmung frauenzentrierter DDR-Literatur: Brigitte Reimann (1933–1973), Maxie Wander (1933–1977) und Irmtraud Morgner (1933–1990). Ihre ersten literarischen Gehversuche unternahmen sie in den 1950er-Jahren. In ihren frühen Texten unterstützten sie den Aufbau des Sozialismus und verbanden damit die Hoffnung, ein anderes und besseres Deutschland zu mitzugestalten. Spätestens Ende der 1960er-Jahre distanzierten sich die Autorinnen Reimann und Morgner von ihren frühen Werken und leiteten eine neue Phase ihres literarischen Schaffens ein. Es folgten Auseinandersetzungen mit der staatlichen Zensur, die die Veröffentlichung neuer Texte verhinderte oder verzögerte. In ihren Texten beschäftigten sich Brigitte Reimann, Maxie Wander und Irmtraud Morgner zunehmend mit jenen Themen, die in der DDR spätestens zu Beginn der 1970er-Jahre als gelöst galten: die Frauen- und Geschlechterverhältnisse. Anhand von literarischen Frauenfiguren verhandeln sie Utopien, den Ausbruch aus gesellschaftlichen Konventionen und Möglichkeiten individueller Autonomie in diktatorisch-patriarchalen Systemen. Wie ein roter Faden führen Zitate von Reimann, Wander und Morgner aus ihren Werken durch die Folge, u.a. aus dem 1974 in der DDR erschienenen Roman Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura von Irmtraud Morgner, der auch internationale Bekanntheit erlangte und sie seitdem als, die Feministin der DDR‘ gelten lässt. Der Montageroman aus 13 Büchern und sieben Intermezzi gilt als ihr Hauptwerk, mit dem sie nicht Geringeres als den Eintritt der Frauen in die Historie gestalten wollte. Was diesen Roman auszeichnet und wie zeitlos feministisch, scharfsinnig und humorvoll sich dieser noch heute liest, zeigt die Germanistin Maria Wüstenhagen. Geboren in der Niederlausitz vertiefte sie sich während ihres Studiums in feministische Künstlerinnen der DDR – und promivierte 2013 zu Morgners Trobadora-Roman. Wie kaum eine andere würde Morgner Geschichte und Gegenwart miteinander verbinden, so Wüstenhagen, die anregt, die Werke von Morgner und ihrer Kolleginnen zu lesen und sich auch wissenschaftlich zu erschließen. In den neuen Bundesländern entstanden in den frühen 1990er-Jahren zudem einige Lesben-/Frauenbibliotheken zum Beispiel in regionalen Frauenzentren, angebunden an Universitäten und als eigenständige Bibliotheken. Es ist bis heute ihr Ziel, das Wissen von Frauen und ihre Wissensproduktionen zu bewahren, zu teilen und zu öffnen und für die Forschung nutzbar zu machen. Stellvertretend für die vielfältigen ostdeutschen feministischen Bibliotheken lernen wir die Genderbibliothek in Berlin näher kennen, die über die Humboldt-Universität zu Berlin die Literaturen zur Frauenbewegungsgeschichte der DDR und Ostdeutschland zugänglich und recherchierbar macht. In dieser Podcastfolge fragen wir daher: Warum ist es so spannend und wertvoll, noch heute DDR-Schriftstellerinnen wie Brigitte Reimann, Maxie Wander und Irmtraud Morgner zu lesen? Wie kann dies den Blick auf Geschichte und Gegenwart verändern? Und wo lassen sich ihre Werke neu- und wiederentdecken?

12/29/23 • 41:28

„Es ist für mich auch ein Akt von politischem Aktivismus, mich in einem Archiv so sehr zu engagieren“, leitet Rebecca Gefken diese Podcastfolge ein. Als Historikerin und stellvertretende Geschäftsführung ist sie im feministischen Archiv belladonna in Bremen aktiv. Mit ihrer Haltung steht sie in langer, feministisch bewegter Tradition: Die Geschichte feministischer Bewegungen festzuhalten, passiert seit jeher zumeist aus der Bewegung heraus – und ist damit selbst Teil dieser. Heute auf mehr als 200 Jahre Lesben- und Frauenbewegungsgeschichte blicken zu können, ist daher auch ein zentraler Erfolg der Arbeit vieler feministischer Erinnerungseinrichtungen und ihrer Akteur*innen. Aufbauend auf privaten Sammlungen von Plakaten, Protokollen und anderen Bewegungsmaterialien begannen sich im deutschsprachigen Raum in den frühen 1970er-Jahren erste feministische Archive und Bibliotheken zu gründen – und ab den 1980er-Jahren auch zu vernetzen. Reibungslos blieb dies jedoch natürlich nicht – auch die Geschichte feministischer Erinnerungsarbeit wird neben der teils offen antifeministischen Gegenströmung auch von innerfeministischen Reibungen begleitet. Während früher teils große Gräben zwischen zum Beispiel autonomer und akademischer Arbeit bestanden, versuchen feministische Erinnerungseinrichtungen bis heute hier Brücken zu bauen. Vernetzungsarbeit gehört seit jeher dazu. Neben zahlreichen Gründungsgeburtstage einzelner Einrichtungen – zum Beispiel feiert der Berliner Spinnboden in diesem Jahr sein bereits 50-jähriges Bestehen – fallen zwei daher zentrale Jubiläen der feministischen Erinnerungsarbeit in dieses und das nächste Jahr: 2023 feiern wir 40 Jahre Frauenarchivetagungen und 2024 dann bereits auch 30 Jahre Gründung von i.d.a., dem Dachverband der deutschsprachigen Lesben-/ Frauenarchive, -bibliotheken und -dokumentationsstellen aus Deuschland, Österreich, der Schweiz, Luxemburg und Italien. 40 Jahre Frauenarchivetagungen und 30 Jahre i.d.a.-Dachverband sind keine Selbstverständlichkeit – sondern feministische Errungenschaften. Einzeln und im Verbund haben es sich alle Einrichtungen zur Aufgabe gemacht, zur feministischen Bewegungsgeschichte zu informieren, diese zu dokumentieren und archivieren. „Frauen sollten nicht nur sichtbar gemacht werden in der männlichen Geschichtsschreibung, sondern Geschichtsschreibung sollte anders stattfinden“, sagt Barbara Schnalzger, die in Leipzig die feministische Bibliothek MONAliesA mitgestaltet. Feministische Archive bringen damit auch die Geschichtsschreibung in Bewegung, sie weiten bestehende historische Narrative, ermöglichen feministische (Gegen-) Erzählungen und nicht zuletzt auch die oft noch ausstehende und nötige Forschung. Feministische Geschichte ist damit ein zentraler Teil der Demokratiegeschichte. Wir fragen daher in dieser Podcastfolge: Wie wurden diese feministischen Netzwerke geknüpft? Was können wir – auch mit dem Blick auf erstarkende antifeministische und damit antidemokratische Strukturen – von und mit diesen feministischen Erinnerungseinrichtungen und Wissensspeichern lernen? Und was verdanken wir ihnen?

7/21/23 • 39:12

1848 – vor 175 Jahren – brachen in vielen Teilen des europäischen Kontinents Revolutionen und Unruhen los. Europa wurde zum Schauplatz von Demonstrationen, Aufständen und Barrikadenkämpfen. Die deutschen Staaten erreichte die Welle des Aufstandes im März: Hier entlud sich die Wut über Monarchien, Ständeordnungen und Kleinstaaterei, mit dem Ziel, das politische und gesellschaftliche System grundlegend zu verändern. Die Forderungen waren so unterschiedlich wie ihre Vertreter*innen: Während das liberale Bürgertum den Nationalstaat unter demokratischen Vorzeichen forderte, zog es u.a. die Arbeiter*innen zum Kampf gegen die miserablen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Straße. Die Märzforderungen nach Demokratisierung der Monarchien und Adelsherrschaft, Freiheit der Presse, der Rede, der Versammlung der politischen Teilhabe und der Verankerung von Menschen- und Bürgerrechten – sollten zunächst jedoch nur für Männer gelten. Und vorerst gaben einige Monarchien und feudalen Regierungen nach, richteten unter dem Druck der Revolution Märzministerien ein, die scheinbar Reformprozesse einleiteten. In der deutschen Paulskirche trat mit der Frankfurter Nationalversammlung am 18. Mai 1848 das erste – ausschließlich von Männern gewählte – Parlament zusammen, um gemeinsam über die freiheitliche Verfassung und die Bildung eines Nationalstaates zu beraten. All dies jedoch ohne die politische Teilhabe, ohne passives und aktives Wahlrecht von Frauen – diese saßen auf der sogenannten Damengalerie. Nicht zuletzt diese überparteiliche männliche Emanzipationsfeindlichkeit und Ablehnung von Frauen und ihres Engagements – denn sie waren ebenso Teil der Revolution, ob engagiert im Vormärz oder kämpfend auf den Barrikaden – und ihrer Forderungen, mobilisierte parallel auch die Frauenbewegung. Aus der politischen Unsichtbarkeit heraus entstanden u.a. ersten Frauenvereine und allein vier politisch unterschiedliche Frauen-Zeitungen – selbst während der Revolution und dem damit verbundenen Aufschwung für Presse und Vereine ein echtes Wagnis für Frauen. Die Publikationen und Netzwerke zeigten, wie umfassend die Forderungen der Frauen von 1848 waren. Sie verknüpften frauenpolitische mit allgemeinen politischen Inhalten, für eigenständige Assoziationen, Bildung, Arbeit und die Verbindung mit der Arbeiterschaft, gegen die Unterdrückung in den Fabriken und die Ausbeutung von Frauen, u.a. in Zwangsehen. Eine bekannte wie vehemente Vertreterin war hier Louise Otto-Peters (1819–1895) – auch sie wollte den Ausschluss der Frauen nicht hinnehmen, forderte gleichberechtigte politische Teilhabe und das Wahlrecht für Frauen. Sie gehörte zu den Frauen, die bereits im Vormärz aktiv waren, und publizierte u.a. in Zeitschriften des Journalisten und Politikers Robert Blum, der 1848 als Revolutionär und wortführender Abgeordneter der Paulskirche von Kaiserlich-Österreichischen Truppen inhaftiert und erschossen wurde. Sie focht mit ihrer Schreibfeder für die Revolution und gründetet 1848 ihre eigene Frauen-Zeitung. In dieser verhandelte sie ihre zentrale Losung „Die Freiheit ist unteilbar!“ (1848), die religiöse, politische, soziale Freiheit und die Frauenemanzipationen untrennbar verbindet – und resümierte dem gegenüber 1849 mit Blick auf die von der Männerwelt vertretenen bürgerlichen Freiheitsforderungen: „Wo sie das Volk meinen, zählen die Frauen nicht mit.“ Die bürgerliche Märzrevolution (1848–1849) wurde brutal von den alten Regimes niedergeschlagen, alle Zugeständnisse zurückgezogen – und die revolutionären Aktiven inhaftiert, ermordet oder ins Exil getrieben. Insbesondere die Handlungsräume von Frauen wurden beschnitten: So verbot ab 1850 in Sachsen ein Gesetz, die sogenannte Lex Otto, als Reaktion auf ihre Frauen-Zeitung Frauen die Herausgabe von Zeitungen und die redaktionelle Mitarbeit. Im gleichen Jahr 1850 untersagte das preußische Vereinsgesetz Frauen die Gründung von und den Beitritt in politische Vereine und Parteien.

3/16/23 • 41:23

Schmerz und Wut empfand Marie Juchacz rückblickend auf die politischen Entwicklungen von 1933. Als Frauenrechtlerin, Gegnerin und Verfolgte des NS-Regimes eröffnen ihre Worte die neue Folge von Listen to the Archive. Folge 4: Mit Hass an die Macht – die NS-Machtübernahme 1933. Listen to the Archive! Vor 90 Jahren ernannte Reichspräsident Hindenburg am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler: Diese Machtübertragung besiegelte das Ende der ersten deutschen Demokratie und ebnete der NS-Diktatur den Weg. Auch für die Frauenbewegung bedeutet dies ihr vorläufiges Ende. Unmittelbar nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler begann die Koalitionsregierung aus NSDAP, DNVP und Stahlhelm mit dem Aufbau der NS-Diktatur. Im Zuge der sogenannten Gleichschaltung und ideologischen Umwälzung geriet die Frauenbewegung stark unter Druck: Ihre Organisationen mussten sich entweder NS-Verbänden anschließen oder auflösen, das passive Wahlrecht wurde Frauen entzogen, Berufsverbote eingeführt und z.B. der § 218 verschärft. Der Jüdische Frauenbund begann, die Emigration jüdischer Frauen und Familien vorzubereiten und Schutzstrukturen aufzubauen, für u.a. lesbische Personen begann die „Zeit der Maskierung“ (Claudia Schoppmann). Viele Akteur*innen flohen ins Exil, wurden verhaftet, aus der Politik und dem öffentlichen Leben verbannt oder ermordet. Biografien wie die von Marie Juchacz, Lida Gustava Heymann, Anita Augspurg und Emmy Beckmann stehen in dieser Podcast-Folge stellvertretend für die zahllosen politisch bewegten Lebensgeschichten von Feminist*innen, die spätestens ab 1933 durch das neue NS-System starke Einschnitte und Repressionen erfuhren. Andere versuchten sich mit dem NS-Regime zu arrangieren, profitierten und verstrickten sich mit diesem durch Mitläufer*innentum und (Mit-) Täter*innenschaft. Welche Auswirkungen dies auch auf spätere innerfeministische Debatten hatte, zeigen die Bestände des feministischen Bildungszentrums und Archivs DENKtRÄUME in Hamburg. Hier finden sich Forschungen, Zeitzeug*inneninterviews und Dokumente – darunter die Akte des Falles von Ruth Kellermann, einer ehemaligen Dozentin des Hamburger Frauenbildungszentrums. Ihre NS-Täterinnenschaft blieb bis 1985 unbekannt. Erst durch das Engagement der Rom und Cinti Union Hamburg und des Jüdischen Kulturzentrums Berlin wurde diese öffentlich – und innerfeministisch – thematisiert. Diese Podcast-Folge begibt sich auf die Spuren der Frauenbewegungen vom Vorabend der Machtübertragung, über den Umgang der Frauenbewegung mit dem NS-Regime bis zu Auseinandersetzungen innerhalb feministischer Strukturen nach 1945. Mit: Helga Braun (Sozialwissenschaftlerin, Mitbegründerin des feministischen Bildungszentrums und Archivs DENKtRÄUME in Hamburg), Sabine Hoffkamp (Sozialhistorikerin), Inga Müller (Historikerin, DENKtRÄUME) und Nicolli Povijac (Historikerin, DENKtRÄUME) sowie Lydia Struck (Kulturanthropologin, Sozialhistorikerin und Nachfahrin von Marie Juchacz). Durch den Podcast begleitet Birgit Kiupel. Sie ist Bewegungs- und Radiofrau, Zeichnerin und promovierte Historikerin, DDF-Geschichtsexpertin in Hamburg und ausgemachte Kennerin der Archive. Sie führt durch Gespräche und Geschichten – mit dem richtigen Gespür für besondere Fundstücke aus den feministischen Archiven. Neue Folgen von „Listen to the Archive. Der DDF-Podcast zu feministischer Geschichte“ erscheinen alle drei Monate. Zu hören überall dort, wo es Podcasts gibt. Konzept: Birgit Kiupel, Steff Urgast Schnitt/Mischung: Christian Alpen Sound Design: Azadeh Zandieh

1/25/23 • 42:26

„Strom fließt überall gleich“, meint Dr. Afsar Sattari. Neben ihrem technischen Interesse war dies für sie auch ein ganz pragmatischer Grund, unter anderem Elektrotechnik zu studieren – ein Fach, welches „überall in der Welt anwendbar ist“. Als politisch Verfolgte kam sie in den 1980er Jahren aus Iran nach Deutschland und lebt seither in Köln. Auch hier setzt sie sich zivilgesellschaftlich ein, teilt ihr Wissen und unterstützt Migrant*innen bedarfsorientiert in ihrem Bildungs- und Berufsweg. In Deutschland hat gut jede vierte Person Migrationsgeschichte, ob selbst migriert oder bereits in Deutschland geboren. Migration ist also unfraglich Teil politischer, wirtschaftlicher und kultureller Lebenswirklichkeit – und spiegelt sich damit auch in der jeweiligen Geschichte und Politik der Städte, Länder und Regionen wider. In der aktuellen Folge blicken wir nach Köln – als nur ein Beispiel dafür, wie Stadt- und Migrationsgeschichte untrennbar miteinander verwoben sind. Überall in der Stadt finden sich auch Spuren feministisch-migrantischer Bewegungsgeschichte. Um ihre Sichtbarkeit muss bis heute noch oft gerungen werden. Wem werden Straßennamen gewidmet oder Denkmäler erstellt? Welche Geschichten prägen das Zusammenleben, bleiben aber zu oft noch unbekannt? Einen Fundus an Wissen und Material bietet hier der Kölner Frauengeschichtsverein – und Migrationsgeschichte ist ein zentrales Thema, ob in Stadtführungen der Historikerin Irene Franken oder aktuellen Projekten. Im Fokus steht derzeit die von der Historikerin Nuria Cafaro betreute Dokumentation der Geschichte feministisch-migrantischer Selbstorganisierung, wie der von Beshid Najafi mitbegründete agisra e.V., der Informations- und Beratungsstelle für Migrantinnen* und geflüchtete Frauen*, die seit Jahrzehnten unverzichtbare Angebote für Frauen und Mädchen aus zahlreichen Herkunftsländern ermöglicht. Und auch die Gründe, den Ort des Lebensmittelpunkts zu wechseln, sind vielfältig: Neben der Migration aus beruflichen, familiären und Bildungszwecken ist die Flucht vor angedrohter oder erlebter Verfolgung und Gewalt – also die Suche nach Schutz – ein zentrales Motiv. Das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR schätzt, dass rund ein Prozent der Menschheit, damit rund 100 Millionen Menschen gerade auf der Flucht sind: vor Kriegen, Gewalt und Notlagen. Insbesondere Frauen, Mädchen sowie queeren und trans Personen werden in diesen Situationen oft Menschenrechte verweigert – nicht zuletzt zeigen das auch die aktuellen Geschehnisse etwa in der Ukraine, in Iran oder Afghanistan. Gegenwart und Geschichte verbinden sich damit unweigerlich in dieser Folge von: Listen to the Archive! Mit: Nuria Cafaro (Historikerin & Leitung des Projekts Selbstorganisation von Migrantinnen in Köln des Kölner Frauengeschichtsvereins), Irene Franken (Historikerin und Mitbegründerin des Kölner Frauengeschichtsvereins), Behshid Najafi (Pädagogin und Politikwissenschaftlerin, Mitbegründerin von agisra e.V.) und Dr. Afsar Sattari (Ingenieurin und Doktorin der Philosophie, Dozentin an div. Universitäten, Projekte zu Migration, Gender und im MINT-Bereich).

10/11/22 • 44:15

Volle Stadien und Live-Übertragung zur besten Sendezeit: Das gab es für den Fußball von Frauen selten in diesem Maße wie in diesem Sommer 2022. Während also in England die ersten Tore fallen und die Begeisterung zur 13. Fußball-EM der Frauen stetig wächst, sucht der DDF-Podcast nach den Geschichten am Spielfeldrand. Warum war Fußball als Profisport für Frauen noch bis 1970 verboten? Wie wurde der Fußball von Frauen auch im deutschsprachigen Raum populär und wie ist dies heute einzuordnen? Mit: Friederike Faust, Martina Keller, Rita Kronauer und Petra Landers

7/12/22 • 56:40

„Reine Wohltätigkeit ist überhaupt nicht ausreichend“, so lässt sich Alice Salomons (1872–1943) Position umreißen. Salomon forderte gesellschaftlichen Wandel und Frauenrechte. Sie wurde zu einer der bedeutendsten und international renommiertesten Sozialreformerinnen. Am 19. April 2022 jährt sich ihr Geburtstag zum 150. Mal. Das Alice Salomon Archiv erinnert an die Pionierin der Sozialen Arbeit: Fotos und Dokumente erzählen hier von ihrem Leben, dem frauenbewegten Aufbruch, dem Einsatz für Mädchen- und Frauenbildung, der Professionalisierung der Sozialen Arbeit, schließlich NS-Verfolgung aufgrund ihrer jüdischen Herkunft – und Exil. Wiederentdeckt in den 1980er Jahren steht ihr Name heute für soziale Gerechtigkeit und Pazifismus. Listen to the Archive: Alice Salomon bleibt hochaktuell! Mit: Adriane Feustel, Aya Schamoni & Sabine Toppe

5/3/22 • 51:58

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